Am 14. Mai 2025 fand im Nachbarschaftshaus Urbanstraße in Berlin das dritte Netzwerktreffen zur interreligiösen Bildung statt. Eingeladen hatte der Initiativkreis Dialog der Religionen für Kinder und Jugendliche (DiReKiJu). Ziel der Veranstaltung war es, Fachkräfte aus Bildung, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Praxis miteinander ins Gespräch zu bringen und gemeinsam Wege für eine diskriminierungssensible Pädagogik zu entwickeln.
Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte stehen im Schulalltag zunehmend vor der Herausforderung, eine Lernumgebung zu schaffen, die der religiösen und weltanschaulichen Vielfalt von Kindern und Jugendlichen gerecht wird. Gerade im Umgang mit religionsbezogenen Konflikten fehlt es häufig an Orientierung, Handlungssicherheit und unterstützenden Konzepten. Das Netzwerktreffen bot einen Raum, um diese Herausforderungen offen zu thematisieren, Praxisansätze zu teilen und neue Impulse zu gewinnen.
Impulse aus Praxis und Wissenschaft
Nach der Begrüßung durch Fereshta Ludin und Schirin Wiesand eröffnete Pfarrer Martin Gremer mit einem persönlichen Grußwort. Darin thematisierte er die gesellschaftliche Tendenz, Religion auf den privaten Raum zu beschränken, und erinnerte an seine eigenen Erfahrungen in einem von „wissenschaftlichem Atheismus“ geprägten DDR-Bildungssystem. Seine eindrücklichen Schilderungen verdeutlichten, wie wichtig es ist, religiöse Identität auch im öffentlichen Raum sichtbar und respektiert zu halten.
Einen zentralen inhaltlichen Beitrag lieferte Prof. Dr. Henrik Simojoki von der Humboldt-Universität zu Berlin. In seinem Vortrag analysierte er die Entstehung und Wirkungsweise von Diskriminierung im schulischen Alltag. Er machte deutlich, dass Religion im schulischen Kontext sowohl eine Ressource für Teilhabe als auch ein Anlass für Ausgrenzung sein kann – besonders dann, wenn sie offen gelebt wird. Diskriminierung, so Simojoki, wirke oft subtil und strukturell und könne unbewusst reproduziert werden. Anhand der drei Ebenen „Interaktion“, „Institution“ und „Diskurs“ zeigte er auf, wo diskriminierungssensible Pädagogik konkret ansetzen kann. Er forderte unter anderem die Professionalisierung von Lehrkräften im Umgang mit religiöser Vielfalt, die Reform des konfessionellen Religionsunterrichts sowie die Stärkung multiperspektivischen Lernens.
Podiumsgespräch: Erfahrungen aus der Praxis
Im anschließenden Podiumsgespräch kamen neben Prof. Dr. Simojoki drei weitere Perspektiven zusammen, die bereits Erfahrungen in der interreligiösen Bildungsarbeit haben. Aliyeh Yegane Arani ist vielfältig engagiert in den Bereichen Diversity, Menschenrechte und Antidiskriminierung. Momentan ist sie Leiterin der Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS). Dort berät sie Betroffene und begleitet Schulen bei der Auseinandersetzung mit Diskriminierung jeglicher Art.
Beyza Yavuz-Radar ist Lehrerin und Leiterin des Projekts Interreligious Peers. Das Projekt bietet Workshops zum Thema interreligiöse und weltanschauliche Vielfalt und Verständigung, die von jungen Jüdinnen, Christ*innen und Muslim*innen in Schulen und Jugendeinrichtungen veranstaltet werden. Ihr Ziel ist es, Vorurteile abzubauen und einen Raum zu schaffen, wo offen über Fragen der religiösen Identität und Herausforderungen gesprochen werden kann.
Die vierte Teilnehmerin Andrea Kaiser leitet als Religionspädagogin an der Clemens-Brentano Grundschule in Steglitz ein interreligiöses Dialogprojekt zwischen der Clemens-Brentano Grundschule und der Islamischen Grundschule Berlin.
Moderiert wurde die Runde von Van Bo Le-Mentzel, Lehrer, Architekt und Mitbegründer verschiedener Initiativen zwischen sozialer Teilhabe und Design.
Im Zentrum des Gesprächs standen persönliche Zugänge zur interreligiösen Bildung, strukturelle Hürden im Schulalltag sowie Diskriminierungserfahrungen – sowohl von Schüler*innen als auch von Lehrkräften. Deutlich wurde: Interreligiöse Bildungsarbeit ist nicht nur Fachwissen, sondern auch Beziehungsarbeit, Haltung und Selbstreflexion. Die Diskussionsrunde gab wichtige Einblicke in gelungene Praxisbeispiele, aber auch in bestehende Spannungsfelder, etwa bei der Anerkennung religiöser Bedürfnisse im schulischen Raum.
Praxisworkshops: Vertiefung und Austausch
Am Spätnachmittag konnten die Teilnehmenden in drei Workshops praxisnah arbeiten:
Workshop 1: Interreligiöse Bildung in herausfordernden Zeiten
Tobias Nolte und Simon Klippert stellten den Zusatzkurs „Glauben & Zweifeln“ am Campus Rütli vor, der Jugendlichen Raum für persönliche Auseinandersetzung mit Sinnfragen bietet – unabhängig von ihrer religiösen oder weltanschaulichen Prägung.
Workshop 2: Wege zu einer diskriminierungssensiblen Pädagogik
Roman Labunski von KIga e.V. führte mit interaktiven Methoden in die Grundlagen diskriminierungssensibler Bildungsarbeit ein. Anhand multiperspektivischer Biografien diskutierten die Teilnehmenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede religiöser Narrative und reflektierten eigene Haltungen.
Workshop 3: Umgang mit Religiosität an Schulen
Friederike Schulze-Marmeling und Pierre Asis (ufuq e.V.) thematisierten die Herausforderungen im Umgang mit religiösen Praktiken und Symbolen in der Schule. Fallbeispiele boten Gelegenheit, Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten und mehr Sicherheit im pädagogischen Alltag zu gewinnen.
Markt der Möglichkeiten und Vernetzung
Im Anschluss öffnete der „Markt der Möglichkeiten“, auf dem sich Initiativen, Projekte und Organisationen aus dem Bereich interreligiöse Bildung und Antidiskriminierungsarbeit vorstellten. Bei einem gemeinsamen Imbiss bot sich Raum für Gespräche, Austausch und Vernetzung.
Das Netzwerktreffen zeigte eindrucksvoll, wie wichtig Räume für Dialog, Wissenstransfer und kollegialen Austausch im Themenfeld interreligiöser Bildung sind. Es wurde deutlich, dass diskriminierungssensible Bildungsarbeit sowohl strukturelle Veränderungen als auch eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit eigenen Haltungen und Handlungsmustern erfordert. Das große Interesse und die engagierten Beiträge der Teilnehmenden machen Mut für die weitere Zusammenarbeit.